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Bislang können die meisten Kläranlagen in Deutschland Mikroplastik oder Mikroschadstoffe wie Arzneimittelrückstände nicht in ausreichender Menge aus dem Abwasser filtern. Das soll sich künftig ändern! Gerade wurde im Europäischen Parlament die neue Kommunalabwasserrichtlinie KARL verabschiedet.[1] Allerdings bleibt den Ländern über 20 Jahre Zeit, um alle neuen Vorgaben umzusetzen. Was bedeuten die Regelungen für unsere Gesundheit?

Künftig sollen Pharmafirmen und Hersteller von Kosmetikprodukten mindestens 80 Prozent der Kosten einer vierten Reinigungsstufe von Kläranlagen übernehmen, wenn sie Produkte in der EU vertreiben, die nachweisbar sogenannte Mikroschadstoffe ins Abwasser eintragen.

„Das ist ein Meilenstein für den Gewässerschutz“, sagt Dr. Lisa Broß, Sprecherin der Bundesgeschäftsführung der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall. „In Deutschland gibt es derzeit etwa 9500 Kläranlagen. Davon sind erst 80 mit einer vierten Reinigungsstufe ausgestattet, die es ermöglicht, sowohl Hormone als auch Arzneimittelrückstände aus dem Wasser zu filtern.“

Bis 2045 sollen nun alle Kläranlagen für mehr als 150.000 Einwohner diese vierte Reinigungsstufe bekommen. Außerdem auch Kläranlagen für mehr als 10.000 Einwohner, in deren Nähe besonders empfindliche Gewässer liegen. „Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren etwa 1700 Kläranlagen nachgerüstet werden müssen“, sagt Dr. Broß. „Daher begrüßen wir die neue Richtlinie, nach der sich Hersteller nun – im Sinne einer erweiterten Herstellerverantwortung – verursachungsgerecht an den Kosten der weitergehenden Abwasserbehandlung beteiligen müssen.“

„Unser Abwasser ist leider stark belastet. Die herkömmlichen dreistufigen Reinigungssysteme der Kläranlagen sind nicht darauf ausgerichtet, Spurenstoffe zu eliminieren, also Substanzen, die in geringen Konzentrationen in Gewässern vorkommen und von Menschen verursacht wurden,“, erklärt Prof. Dr. Jörg Oehlmann, Leiter der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Dementsprechend finden sich sehr viele chemische Substanzen im Abwasser, teilweise sogar in relativ hoher Konzentration – wie Mikroplastik, hormonaktive Stoffe, Röntgenkontrastmittel oder auch Schmerzmittel. „Und das nicht nur im gereinigten Abwasser, sondern auch im Oberflächen- oder Grundwasser. Einige schlagen sogar ins Trinkwasser durch“, sagt Oehlmann.

Was viele nicht wissen: Das Oberflächen- und Grundwasser, aus dem Trinkwasser gewonnen wird, besteht mancherorts zu einem hohen Anteil aus Abwasser. „In warmen Monaten bestehen einige Flüsse – zum Beispiel in der Rhein-Main-Region – bis zu 80 Prozent aus gereinigtem Abwasser, sogenanntem Klarwasser“, sagt Oehlmann.

Unser Abwasser ist leider stark belastet

Der bislang beste Beleg für die schädliche Wirkung von Mikro- und Nanoplastik auf den menschlichen Organismus ist gerade erst im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlicht worden. Eine Studie ergab: Bei 150 von 257 Menschen, die wegen einer verengten Halsschlagader operiert wurden, fand sich Mikro- und Nanoplastik in den entfernten Ablagerungen.

„Die Ergebnisse dieser Studie haben mich nicht wirklich überrascht“, sagt Prof. Dr. Thomas Münzel, Umweltkardiologe und Seniorprofessor am Zentrum für Kardiologie, Kardiologie I an der Universitätsmedizin Mainz. „Wir wissen von Untersuchungen an isolierten Zellen oder von tierexperimentellen Untersuchungen, dass Mikro- und Nanoplastik Gefäßschäden, strukturelle Schäden an Gefäßwandzellen und insbesondere auch Entzündungsreaktionen und Blutgerinnungsstörungen verursacht.

Das Plastik kann auch die Herzfrequenz erhöhen oder verringern, die Herzfunktion verschlechtern, einen Herzbeutelerguss verursachen und eine Umwandlung von Herzmuskelzellen in funktionsloses Gewebe begünstigen. Daher waren Mikro- und Nanoplastik schon länger als Verursacher von Gefäßentzündungen im Gespräch. Doch jetzt konnte zum ersten Mal Plastikmaterial in den Plaques nachgewiesen werden. Münzel: „Was mich wirklich überrascht, ist das 4,5-fach höhere Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod aus beliebiger Ursache in einem relativ kurzen Beobachtungszeitraum von knapp 3 Jahren.“ Das ergab der Vergleich der Behandelten mit und ohne Mikroplastik in den Ablagerungen. Ob das Mikroplastik tatsächlich die Ursache für die erhöhten Risiken sind, konnte diese Studie jedoch nicht klären.

Mikroplastik ist mittlerweile überall. Laut einer Untersuchung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung können Kläranlagen mit drei Filterstufen schon jetzt immerhin 95 Prozent des Mikro- und Makroplastiks aus dem Abwasser herausfiltern.

Das Umweltbundesamt schreibt: „Humanarzneimittel gelangen größtenteils über die Abwässer in die Kläranlagen. Dort werden diese jedoch zum größten Teil nicht zurückgehalten oder eliminiert. Deshalb werden Rückstände von Humanarzneimitteln nahezu flächendeckend und ganzjährig im Bereich von Kläranlagenabläufen sowie in Bächen, Flüssen und Seen, aber auch im Grund- und vereinzelt im Trinkwasser nachgewiesen.“ Und an anderer Stelle: „Diese Stoffe können sich bereits in sehr niedrigen Konzentrationen nachteilig auf die Lebenswelt im Wasser und die menschliche Gesundheit auswirken. In Deutschland sind circa 2500 Humanarzneimittelwirkstoffe mit einem Jahresverbrauch von ca. 9000 Tonnen zugelassen, davon rund 1200 mit möglicher Umweltrelevanz.“

Diclofenac ist einer der am häufigsten in Wasser nachgewiesenen Wirkstoffe. „In manchen Oberflächengewässern werden die Grenzwerte um das 10- bis 20-fache überschritten“, sagt Oehlmann. „Das ist für viele Organismen in der Umwelt schädlich. An einigen Orten sind durch Arzneimittelrückstände Tierarten sogar schon komplett verschwunden. Auch deshalb muss dringend etwas passieren!“

In manchen Oberflächengewässern werden die Grenzwerte um das 10- bis 20-fache überschritten. Das ist für viele Organismen in der Umwelt schädlich

Laut Bundesumweltamt wurden in Deutschland bislang 64 unterschiedliche Antibiotika in der Umwelt nachgewiesen: „Nach der Einnahme erreichen Antibiotika über die Ausscheidungen der Patientinnen und Patienten mit dem Abwasserstrom die Kläranlagen. Hinzu kommen Produktionsabwässer und unsachgemäß über das Abwasser (Spüle oder Toilette) entsorgte Antibiotika. In herkömmlichen dreistufigen Kläranlagen werden Antibiotika nicht oder nur zu einem geringen Teil entfernt, da viele Wirkstoffe chemisch stabil und überwiegend biologisch schwer abbaubar sind.“ Dadurch droht ein Anstieg von Infektionen durch antibiotikaresistente Bakterien.

„Es geht weniger um die unmittelbare Wirkung der Antibiotika im Abwasser auf den Menschen“, sagt Prof. Dr. Hanns Moshammer, Head of Department of Environmental Health am Center for Public Health, an der Medizinischen Universität Wien. „Viel mehr Sorgen mache ich mir, dass Bakterien Resistenzen entwickeln. Das betrifft zwar zuerst die typischen Umweltkeime, die nicht unbedingt für den Menschen eine Gefahr darstellen. Aber Resistenzen können auch relativ einfach von einem Bakterium auf ein anderes – auch einer anderen Gattung – übertragen werden.“ Dadurch tragen Antibiotika in der Umwelt generell zur Resistenzbildung bei. Auch bei Keimen, die Menschen krank machen können.

Bis 2045 soll die Richtlinie der EU umgesetzt sein. Das dauert vielen – angesichts der Risiken – zu lang. „Wichtig ist für uns jetzt erst einmal eine Rechtssicherheit. Deshalb müssen wir abwarten, bis der Entwurf im Oktober durch den Ministerrat verabschiedet wird“, sagt Broß von der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall. „Und dann wird es leider tatsächlich Zeit kosten, die Richtlinie umzusetzen.“ Dennoch ist sie zuversichtlich, dass zumindest die großen Kläranlagen früher mit der vierten Reinigungsstufe starten werden. „Durch diese Nachrüstung werden in den Klärwerken dann bis zu 99 Prozent der Mikroschadstoffe eliminiert werden können“, sagt Broß.


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